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Freitag, 28.04.2023 | Walter Eucken Institut Vergessen

Gemeinsame Konferenz des Walter Eucken Instituts mit Rainer Hank und Volker Rieble

Walter Eucken Institut, Goethestraße 10, 79100 Freiburg

Interne interdisziplinäre Konferenz

Um das Jahr 1200 v. Chr. kollabierte die Kultur der Spätbronzezeit gleichzeitig im gesamten Mittelmeerraum. Erst 500 Jahre später kam es abermals zu einer kulturellen und wirtschaftlichen Blüte. Dazwischen liegen „dunkle Jahrhunderte“, in denen die Menschen vergessen hatten, was sie einmal gekonnt hatten. Sogar ihre Schrift hatten sie vergessen.
Unsere Erinnerung trügt. Einen sonnigen Urlaub, bei dem es am letzten Tag regnet, behalten wir als „verregnet“ in Erinnerung – so Daniel Kahneman. Ein erfolgreiches Managerleben, das mit einer Entlassung endet, droht als Scheitern in der eigenen Autobiographie gespeichert zu werden.
Warum haben wir vergessen, dass Putin seine Eroberungspläne immer wieder offen angekündigt hat und warum fiel uns das erst wieder ein, nachdem er ernst machte?
Kollektives und individuelles Vergessen, das die Erfahrung tilgt oder verzerrt, gibt es in der Geschichte immer wieder, allen Versuchen zum Trotz, sich dem Vergessen mit einer „Erinnerungskultur“ entgegenzustemmen. Fraglos stehen Erinnern und Vergessen in einer komplexen Beziehung zueinander: Nicht selten erinnern wir das „Falsche“ und vergessen das Richtige. Ist „Wahrheit“ („aletheia“), wie die Griechen meinten, das Gegenteil von „Vergessen“ („lethe“)? Oder tut dies dem Vergessen (und der Wahrheit) Unrecht? Einiges spricht dafür, dass das Vergessen nicht nur eine negative, sondern eine kreative Seite im Prozess der menschlichen Zivilisation hat: Als „Filter, als Waffe und als Voraussetzung für die Schaffung des Neuen“ (Aleida Assmann). Angesichts einer erkennbaren Dominanz der Beschäftigung mit der Erinnerung drohen wir das „Vergessen“ zu vergessen. Würden wir nicht vergessen, würde uns die Vergangenheit erdrücken: „Es ist ganz und gar unmöglich, ohne Vergessen zu leben.“ (Friedrich Nietzsche).
In der Tradition unserer Freiburger Tagungen am Walter Eucken Institut (Macht, Narrative, Loyalität, Populismus, Stimmung, Zufall) soll das „Vergessen“ aus dem je spezifischen Blick verschiedener Fakultäten beleuchtet werden. Fragen wären (nur als Beispiele): Wie ist das Verhältnis von Erinnern, Erfahren, Vergessen? Das Vergessen als Fortschrittstreiber in Kunst, Musik, Wirtschaft? Wovon weiß das Körpergedächtnis, was dem Geist entgeht? Demenz als Strategie der Trauma-Verarbeitung? Wer hat die Macht über das „digitale Gedächtnis“ und die Verfügungsgewalt über den „digitalen Radiergummi“? Wie gehen nicht-europäische Kulturen mit dem Vergessen um? Und: Welche Rolle spielt Vergessen/Erinnern in der Glaubenserfahrung der Religionen?

Programm

Freitag, 28. April 2023

Begrüßung und thematische Einführung
Prof. Dr. Dr. h. c. Lars P. Feld (Walter Eucken Institut), Dr. Rainer Hank (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung) und Prof. Dr. Volker Rieble (LMU München

Die philosophische Perspektive: Alles Vergessen? Zum Verbleib der Träume
Prof. Dr. Petra Gehring (TU Darmstadt)

Die archivarische Perspektive: Bibliotheken als das sichere und bleibende Gedächtniß des menschlichen Geschlechts? Über die Fragilität des Zugangs zu Überlieferung und aktuellen Dokumenten
Dr. Michael Knoche (Weimar)

Die psychiatrische Perspektive: Trauma und die Folgen für die Psyche im Kontext von Vergessen und Erinnern
Prof. Dr. Stefan Röpke (Charité Berlin)

Die kulturwissenschaftliche Perspektive: Eine neue Form des Vergessens: vom Verdrängen zum Verweigern von Geschichte
Prof. Dr. Aleida Assmann (Universität Konstanz)

Die sinologische Perspektive: Die Volksrepublik des Vergessens? Politische Strategien und gesellschaftliche Folgen chinesischer Geschichtspolitik
Prof. Dr. Daniel Leese (Universität Freiburg)

Die musikwissenschaftliche Perspektive: Musik, eine vergessliche Kunstform
Prof. Dr. Melanie Wald-Fuhrmann (Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik Frankfurt a. M.)

Samstag, 29. April 2023

Die theologische Perspektive: Wenn sich die Natur „nicht kümmert“ (Hans Jonas). Gottglaube als Revolte gegen das Vergessen
Prof. Dr. Magnus Striet (Universität Freiburg)

Die neurowissenschaftliche Perspektive: Vergessen – mehr als eine Lücke im Gedächtnis. Anmerkungen eines Hirnforschers
Prof. Dr. Martin Korte (TU Braunschweig)

Die soziologische Perspektive: Aktives und passives Vergessen.
Prof. Dr. Heinz Bude (Universität Kassel)

Die althistorische Perspektive: Bürgerkrieg und Vergessen in der Antike
Prof. Dr. Hartmut Leppin (Universität Frankfurt)