Prof. Dr. Tim Krieger
Universität Freiburg
Haus zur lieben Hand, Löwenstraße 16, 79098 Freiburg
Prof. Tim Krieger, Beiratsmitglied des Aktionskreises Freiburger Schule, stellte in diesem Vortrag seine aktuelle Buchpublikation "Ordoliberalism and European Economic Policy – Between Realpolitik and Economic Utopia" vor.
Professor Krieger begann seine Buchvorstellung mit einem Überblick über den Einfluss des Ordoliberalismus auf die europäische Wirtschaftspolitik. Er führte auf, dass sich in der frühen europäischen Integration die ordoliberale Logik beispielsweise in Fragen zur Verhinderung von Wettbewerbsbeschränkungen zeige. Ebenso ließen sich die Regeln für den europäischen Markt, der darin verankerte Wettbewerbsgedanke sowie die Wohlstandsförderung durch die vier Grundfreiheiten innerhalb der europäischen Union auf ordoliberale Ideen zurückführen. Allerdings wurde Europa im Laufe der Zeit zunehmend als politisches Integrationsprojekt betrachtet, das neben der Wirtschaftsgemeinschaft eine politische Gemeinschaft bilde. Dies führe, so Krieger, zu verstärkter ordoliberaler Kritik an der europäischen Harmonisierung und Zentralisierung und an dem damit verbundenen „one size fits all“-Ansatz, der das eigentliche Motto Europas „in Vielfalt geeint“ überlagere. Heute bestehe bei vielen Ordnungsökonomen der Eindruck, dass ihre Positionen überhört würden und es zu wenig Ordnungspolitik in der EU gäbe. Dies liege auch daran, dass man nur (noch) acht Prozent der deutschen Ökonominnen und Ökonomen der ordnungsökonomischen Schule zuordnen könne.
Anschließend ging Tim Krieger näher auf die aktuelle Kritik an der Ordnungsökonomik ein, die von verschiedenen Lager geäußert wird. Die linke Seite kritisiere dabei die ordnungsökonomische Sicht auf Wirtschaft und Wettbewerb, im Speziellen die Betonung der positiven Wirkung des Wettbewerbs und das liberale Wirtschafts- und Gesellschaftsverständnis. Aus dieser Perspektive, die einen traditionellen Liberal/Links-Gegensatz in der Wirtschaftspolitik widerspiegelt, gehe damit auch eine Tendenz zum autoritären Liberalismus und zu einem „starken Staat“ im Sinne Carl Schmitts einher. Während der Eurokrise seien mit deutschen und internationalen Makroökonomen mit einer eher (neo-)keynesianischen Ausrichtung, aber auch Politik- und weiteren Sozialwissenschaftlern neue Stimmen in der Debatte aufgekommen. Ihre Kritik richtete sich hauptsächlich gegen die deutsche Forderung nach der Durchsetzung von Austeritätsmaßnahmen, die auf die Ordnungsökonomik zurückgeführt wurde.
Anhand des Beitrags zur Ordoarithmetik von Paul Krugman in der New York Times von 2014 und Magnus Ryners Aufsatz aus dem Jahr 2015 verdeutlichte Krieger deren Ansichten, dass Deutschland seiner eigenen intellektuellen Tradition folge und der „ordoliberale Eisenkäfig“ strukturell in der europäischen Gesellschaft verankert sei. Besonders extrem stelle sich die Position von Johan Van der Walt dar, dass Ordoliberalismus ein religiöser Extremismus sei, der nicht mehr reflektiert würde, sondern lediglich als Ideologie bestehe. Während Tim Krieger diese Überspitzung deutlich ablehnt, stellt er jedoch folgende Überlegungen an: Erstens, gibt es tatsächlich eine relevante Rolle der Religion in dieser Diskussion? Muss man den Ordoliberalismus als eine „protestantische Medizin gegen die katholische Liederlichkeit“ verstehen, wie es ein Gastredner in einem Vortrag der Universität Freiburg einmal formuliert hat? Und zweitens, wie werden ordoliberale Konzepte heutzutage umgesetzt? Gibt es angesichts der schrumpfenden Zahl deutscher Ordnungsökonomen noch ausreichend Diskussion und Selbstreflektion innerhalb der ordoliberalen Schule? Ein Problem besteht laut dem Referenten darin, dass sich sowohl liberale als auch sehr konservative politische Aussagen mit dem Ordoliberalismus stützen ließen. Das Konzept sei unscharf geworden und müsse von den Ordnungsökonomen stets weiterentwickelt werden.
Eine weitere zentrale Frage sei, warum wurde der Ordoliberalismus in der Eurokrise zum Schuldigen gemacht wurde. Krieger meinte, es sei nicht leicht, das negative Empfinden gegenüber der deutschen Position in der Eurokrise konkret zu fassen. Nationaler Egoismus ließe sich dabei nicht nur Deutschland, sondern auch anderen Ländern vorwerfen. Da eine Kritik am Neoliberalismus im Sinne der Chicagoer Schule angesichts der Sozialen Marktwirtschaft und dem umfangreichen Sozialstaat nicht auf Deutschland zugespitzt werden könne, habe man den Ordoliberalismus als Feindbild auserkoren: er gelte zum einen als „typisch deutsch“ und ist mit seiner Betonung der Regelbindung, etwa bei den Maastricht-Kriterien, zumindest teilweise mit den deutschen Positionen in der Europapolitik vereinbar, selbst wenn u.a. Lars Feld wiederholt darauf hingewiesen hat, dass die deutsche Politik nach der Eurokrise immer wieder gegen Grundprinzipien der Ordnungspolitik verstoßen habe.
Das von Tim Krieger und Malte Dold herausgegebene Buch „Ordoliberalism and European Economic Policy: Between Realpolitik and Economic Utopia“ widmet sich der internationalen Debatte über den Ordoliberalismus. Mit dieser Publikation soll die deutsche Position international sichtbarer und verständlicher werden, indem zunächst eine grundsätzliche Einbettung der Ordnungsökonomik erfolgt und dann die angewandten ordoliberalen Erklärungsansätze zur Eurokrise dargestellt werden. Abschließend folgt ein Ausblick in die ordoliberalen Ansätze nach der Krise.
Der Referent
Tim Krieger ist seit Juli 2012 Leiter der damals neu geschaffenen Wilfried-Guth-Stiftungsprofessur für Ordnungs- und Wettbewerbspolitik an der Universität Freiburg. Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Kiel, Göttingen, Wisconsin und Boston schloss er seine Promotion 2004 an der Universität München mit einer Arbeit über die politische Ökonomie der Zuwanderung in alternden Gesellschaften ab. Vor dem Ruf an die Universität Freiburg war er Juniorprofessor an der Universität Paderborn sowie Lehrstuhlvertreter an den Universitäten Mainz und Marburg.
Im Mittelpunkt der Forschung von Tim Krieger stehen die Folgen zentraler Trends, die für heutige Gesellschaften und nationale sowie internationale Wirtschaftsordnungen von fundamentaler Bedeutung sind: die zunehmende Internationalisierung (bzw. Globalisierung) der Wirtschaft, die Digitalisierung und die voranschreitende Alterung der Bevölkerungen der Industrie- und Schwellenländer. Prof. Krieger nimmt sich dieser und verwandter Problematiken mit seinen Forschungsthemen „Wirtschafts-, Sozial- und Bildungspolitik in offenen und alternden Volkswirtschaften“, „Systemwettbewerb in Europa”, „Zukunft der Welthandelsordnung“, „Migration und internationale Mobilität des Faktors Arbeit“, „Ordnungspolitik für digitale Märkte“ sowie „Illegalität und Gewalt als Herausforderungen für marktwirtschaftliche Demokratien“ an.